AG Erste Generation Kunstgeschichte
»Heutzutage ist es angesagt, über Themen wie race oder Gender zu sprechen; das weniger coole Thema ist Klasse. Es ist das Thema, bei dem wir alle verkrampfen, nervös werden, unsicher sind, wo wir stehen.« (bell hooks)
Unter Klassismus können sich viele immer noch wenig vorstellen, obwohl klassistische Benachteiligung sehr wirksam und weit verbreitet ist. Klassismus wird analog zu anderen -ismen wie Rassismus und Sexismus gebraucht und beschreibt eine Form der Diskriminierung, die Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft, oft auch aufgrund von Armutsbetroffenheit, herabsetzt. Nicht immer fallen dabei ökonomische Faktoren am stärksten – oder überhaupt – ins Gewicht.
Dass sich die soziale Herkunft eines Menschen auf seinen Bildungserfolg auswirkt, legten auch die 20. und 22. Sozialerhebung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nahe. Im Vergleich der Bildungsbiographien von Menschen aus sogenannten Akademiker*innenhaushalten mit denen solcher, deren Eltern keine akademischen Abschlüsse erworben haben, werden soziale Ungleichheiten sichtbar: Mit jedem Bildungsabschluss wird der prozentuale Anteil der Absolvent*innen aus Nicht-Akademiker*innenhaushalten geringer. Nur 1% schloss laut der Befragung ein Promotionsstudium ab, während Kommiliton*innen, deren Eltern bereits ein Studium abgeschlossen haben, mit 10% deutlich öfter promoviert wurden.
Dabei berücksichtigten die Erhebungen nur den höchsten Schul- und Berufsabschluss der Eltern und bilden daher weder die Situierung anderer Familienangehöriger ab noch lässt sie Rückschlüsse auf das kulturelle und ökonomische Kapital sowie Habitus-Struktur-Konflikte der befragten Studierenden zu. Die Bildung der Eltern hat zudem einen Einfluss auf die Studienfachwahl, was daran sichtbar wird, »dass Studierende aus akademischem Elternhaus in einigen Fachrichtungen besonders stark vertreten sind. So stammen […] 65 Prozent in Kunst bzw. Kunstwissenschaften […] aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil ein Studium abgeschlossen hat. […] Nur […] 36 Prozent der Studierenden [der Kunst- bzw. Kunstwissenschaften][…] kommen […]aus einem nicht-akademischen Elternhaus.«
Obwohl soziale Fragen auch in den Kunstwissenschaften immer öfter adressiert werden, bleiben klassistische Strukturen und Perspektiven oft eher im Hintergrund und werden nur zögerlich als Forschungsgegenstand erkannt. Als lange bildungsbürgerlich dominierte Disziplin hat die Kunstgeschichte traditionell Bildwerke kanonisiert, die Klasse, wenn überhaupt, von außen thematisieren. Die AG Erste Generation Kunstgeschichte knüpft hier an und trägt seit 2022 dazu bei, für klassistische Strukturen in der Kunstgeschichte zu sensibilisieren und Klasse zum Thema zu machen. Sie widmet sich gezielt den Leerstellen, die Klassismus und Bildungsungleichheit in der Kunstgeschichte bislang markieren und nimmt an den Diskursen um eine plurale kunstwissenschaftliche Forschung und Lehre teil. Die AG verfolgt dabei einen intersektionalen Ansatz und möchte Vernetzungsmöglichkeiten schaffen, um Kunsthistoriker*innen und Multiplikator*innen aus verschiedenen Statusgruppen zusammenzubringen, die sich mit Klassismus beschäftigen. Wir bilden Räume, in denen Klassenfragen diskutiert und strukturell adressiert werden können.
Aktuelle Infos auf Instagram: https://www.instagram.com/uv_ag_erstegeneration/
Kontakt: erste-generation@ulmer-verein.de
Veranstaltungen
25.09.2024, Antiklassistischer Lesekreis (mit Dirk Hildebrandt): Judith Butler, Körperallianzen und die Politik der Straße. In: Dies.: Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung, Frankfurt am Main 2018, S. 91–102; 115–132.
28.08.2024, Antiklassistischer Lesekreis (mit Bastian Rieker): Nora Sternfeld: entsprechen, versprechen, widersprechen. Was haben wir uns beim Lernen zu sagen? In: Alisha M. B. Heinemann und Natascha Khakpour (Hg.): Pädagogik sprechen. Die sprachliche Reproduktion gewaltvoller Ordnungen in der Migrationsgesellschaft, Berlin 2019, S. 35–45 und dies.: ‘Give her the tools, she will know what to do with them!’ Some Thoughts about Learning Together. In: Byrne, John (Hg.): The constituent Museum. Constellations of knowledge, politics and mediation: A generator of change, Amsterdam 2018, S. 158–165.
31.07.2024, Antiklassistischer Lesekreis (mit Henrike Haug): Donna Haraway: Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective. In: Feminist Studies, 1988, Bd. 14, Nr. 3, S. 575–599.
26.06.2024, Antiklassistischer Lesekreis (mit Andrea Burkhardt und Ida Colangelo): Eve Kosofsky Sedgwick: Paranoid Reading and Reparative Reading, Or, You’re So Paranois, You Probably Think This Essay is About You. In: Touching Feeling: Affect, Pedagogy, Performativity, Durham/London 2003, S. 123–152.
29.05.2024, Antiklassistischer Lesekreis (mit Sophie Eisenried): Moshtari Hilal; Sinthujan Varatharajah: Englisch in Berlin, Berlin 2022, S. 7–68.
17.06.2024, Redebedarf. Lunchtalk des Ulmer Vereins: Acknowledging Class. Social Status, Habitus and Classism in Art History and Art Studies (Ida Colangelo, Nina Eckhoff-Heindl und Alessa Paluch im Gespräch mit Henrike Haug und Judit Utz)
24.04.2024, Antiklassistischer Lesekreis (mit Amelie Ochs): Drehli Robnik: Einleitung: Klasse als Sicht und Sache. In: Ders. (Hg.): Klassen sehen. Soziale Konflikte und ihre Szenarien, Münster 2021, S. 7–22; Gabu Heindl: Klasse, Mitte, Masse: Aspekte einer massengeschneiderten Wohnbauplanung. In: Robnik 2021, S. 83–152.
12.03.2024, Beitrag zur Veranstaltung Wie kann inklusive Kunstgeschichte in Forschung und Lehre gelingen? Eine Podiumsdiskussion zum Status quo des Fachforums Kunstgeschichte inklusiv beim 37. Deutschen Kongress für Kunstgeschichte 2024 (Ida Colangelo und Gizem Gürbüz)
28.02.2024, Antiklassistischer Lesekreis (mit Stefan Nikola): Didier Eribon: Die List des Determinismus, in: Ders.: Gesellschaft als Urteil. Klassen, Identität, Wege, 2. Auflage, Berlin 2021, S. 131–147.
26.01.2024, Antiklassistischer Lesekreis (mit Ida Colangelo und Undine Dömling): Rosa Cattani: Ange[k/n]ommen? Der Habitus als letzte und unmittelbar erfahrbare Grenze. In: Riccardo Altieri und Bernd Hüttner (Hg.): Klassismus und WIssenschaft. Erfahrungsberichte und Bewältigungsstrategien, Marburg 2020,S. 105–111; Lena-Marie Staab: After-Work-Party im Kunstmuseum oder: Klassismus in Kunst und Wissenschaft. In: Altieri/Hüttner 2020, S. 169–180.
25.–28.09.2023, Summer School »Kunstgeschichte x Klassismus«, Universität zu Köln (Organisation: Andrea Burkhardt, Ida Colangelo, Undine Dömling und Gizem Gürbüz)
27.03.2023, Redebedarf. Lunchtalk des Ulmer Vereins: Arbeitskreis Erste Generation Kunstgeschichte, Köln (Andrea Burkhardt, Ida Colangelo, Undine Dömling und Gizem Gürbüz) und ArbeiterKind.de (Lisa Maria Dziobaka) im Gespräch mit Henrike Haug und Judith Utz
02.03.2023, Lange Nacht des Schreibens
18.01.2023, Diskussion: Klassismus und… Ausstellungspraktiken. Textgrundlage (u.a.): Nora Sternfeld: Plädoyer. Um die Spielregeln spielen! Partizipation im post-repräsentativen Museum. In: Susanne Gesser u.a. (Hg.), Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen (= Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement), Bielefeld 2012, S. 119–126.
14.12.2022, Diskussion: Klassismus und… Social Art History? Textgrundlage: Cindy Persinger: Reflections on Socially Engaged History. In: Dies. und Azar Rejaie (Hg.): Socially Engaged Art History and Beyond. Alternative Approaches to the Theory and Practice of Art History, Cham 2021, S. 275–280. Francis Seeck: “Sollen wir dann etwa Helene Fischer spielen?” Klassismus im Kulturbetrieb. In. Dossier “Kunst kommt von Können?!” Klassismus im Kulturbetrieb, Berlin 2022, S. 63–79. Eva-Maria Troelenberg: Struktur und Diversität: Zur Debatte über die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. In: kritische berichte 2, 49, 2021, S. 91–96.
30.11.2022, Kick-Off: Arbeitskreis Erste Generation Kunstgeschichte. Textgrundlage: Daniela Dröscher: Zeige deine Klasse. Die Geschichte meiner sozialen Herkunft, Hamburg 2019 (Auszüge); Deniz Ohde: Streulicht, Berlin 2020 (Auszüge).